Alle Beiträge von Susanne Riedel

Gruß von Christa!

Heute mal eine Randnotiz.
Wenn ich schreibe, erzähle ich aus meinem Leben. Aus dem echten bekloppten verrückten Leben, durch das wir uns tagein, tagaus bewegen, oder: das sich durch uns bewegt, ob wir wollen oder nicht. Leben halt. Nichts ist erfunden. 

Und so kommt es natürlich vor, dass in meinen Texten Familienangehörige, Freundinnen und Freunde auftauchen. Bevor ich diese Geschichten dann vorlese oder sonstwie veröffentliche, frage ich natürlich nach, ob die Betreffenden mit der Nennung ihres echten Namens einverstanden sind oder ob ich etwas verklausulieren soll. 
Das allerdings kommt selten vor. Erstaunlich selten. Was mich natürlich freut, denn so ist beim Erzählen auch das letzte Fünkchen Authentizität gewahrt.
Wenn ich von meiner Freundin Christa spreche, zum Beispiel. Denn Christa ist einfach sowas von Christa – der Name ist für mich ein gefühltes Gesamtpaket, ihn zu ersetzen fiele mir schwer. 

In der Geschichte „Das Perlhuhn“ habe ich vor einiger Zeit von Christa und ihrem Töpferfeldzug berichtet, in dem sie sich für all die furchtbaren selbstgebastelten Muttertagsgeschenke ihrer inzwischen großen drei Söhne revanchierte. Ein Sohn hatte einen Stiftebehälter bekommen mit einem modellierten Seestern darauf, der zweite eine Art Schale und bei Sohn Nr. 3 – da weiß bis heute keiner so genau, was es sein soll. Sie auch nicht. 
„Susanne“ hatte sie damals mit einem Blitzen in den Augen verkündet. „Ab heute wird zurückgetöpfert“. Ich fand das großartig. Deshalb schrieb ich es auf. 
Christa freute sich, als die Geschichte in einem Buch erschien, verschenkte sie es kichernd in ihrem gesamten Freundeskreis, und als ich die Geschichte bei der Ladies Night erzählte, reiste sie mit nach Köln und saß glucksend in der ersten Reihe. So weit, so gut.

Ob sie allerdings noch einmal ihren wirklichen Namen hergeben würde, weiß ich nicht so genau. Denn seither muss sie sich so einiges anhören… 

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Snälltåget (In groben Zügen)

„Meine Damen und Herren, an Gleis 5 steht für Sie bereit…“
Es ist so weit, ich bin ein bißchen aufgeregt. 
Über die neue Bahnstrecke wurde in den letzten Wochen viel berichtet, auch im Radio und in der Abendschau wurde es feierlich verkündet: Der neue Snälltåget bietet seit diesem Sommer eine Direktverbindung von Berlin nach Stockholm an. 
Es gibt auch eine Nachtverbindung, bei der man bequem schlafen kann, und wenn man aufwacht, während das Frühstück serviert wird, ist man schon in Schweden und fährt entspannt an grünen Wiesen und roten Häusern vorbei, bevor man am Wunschort aus dem Zug steigt und maximal erholt in den Urlaub startet. Für genau diese Nachtverbindung habe ich mich entschieden. 14 Stunden sind es von Berlin-Gesundbrunnen nach Alvesta in Småland. 

Es ist 19 Uhr, gleich geht es los. Als ich in den Waggon klettere, bin ich erstmal erstaunt. Eine alte Gittertreppe führt in ein altmodisches Großraumabteil. Also, „Groß“, naja. Die Sitze sind mit rotem Polyester und hellbraunem Kunstleder bezogen, der Boden mit braunem Teppich ausgelegt, das Licht ist schummerig und flackert ein wenig. Na dann, denke ich, auf ins Abenteuer, und suche meine Platznummer. 
91, aha, na gut. 
Das ältere schwedische Ehepaar, dem ich gerade beim Einsteigen mit den schweren Koffern geholfen hatte, guckt mürrisch, als ich meine Reisetasche auf die Plexiglasablage hieve und direkt Ihnen gegenüber im Viererabteil zu sitzen komme. 
„Welchen Sitz haben Sie?“ fragt die Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln und vorgeschobenem Unterkiefer. Diesen Gesichtsausdruck kenne ich, den erkenne ich sogar durch die Maske. Ich hab ihn hundertmal gesehen – an meiner Schwiegermutter. Er deutet auf latente Übellaunigkeit und akuten Hunger hin, ich weiß Bescheid. Da heißt es jetzt: besonnen reagieren. Oder direkt was zu Essen reintun. Ertappe mich dabei, wie ich in Gedanken meinen Proviant durchgehe, und die Vorstellung, der fremden Frau auf die Frage „Welchen Sitz haben Sie?“ wortlos eine Käsestulle in die Hand zu drücken, gefällt mir kurz, dann beschränke ich mich doch auf die sachliche Antwort: „91“ und deute achselzuckend auf die Sitznummer über mir. 

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Gerade neulich

Freitagabend. Nach langer Zeit habe ich mal wieder einen Auftritt! Aber…

Ich fang mal anders an.
Heute Abend bin ich mit meiner alten Freundin Tessa verabredet. Ich freue mich sehr, Tessa und ich kennen uns schon seit unserem 10. Lebensjahr und haben uns jetzt eine ganze Weile nicht gesehen.

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber je älter ich werde, desto öfter verschätze ich mich mit Zeiträumen. Bestimmt kennt Ihr diese Frage, über die man dann gemeinsam nachgrübelt, wenn man sich wiedertrifft: „Mensch, wann haben wir uns eigentlich das letzte Mal gesehen?“ Ich liege bei der Antwort verlässlich daneben, weil ich eigentlich immer denke „Na, gerade neulich“ – und dann ist dieses neulich bei näherem Überlegen, zack, doch schon 5 Monate her. Oder Jahre. Oder was weiß ich.
Sebastian sagt ja: „Du merkst, dass Du 50 bist, wenn alles, worüber Du redest, mitmal zwanzig Jahre her ist.“ Aber damit mag ich mich noch nicht so richtig abfinden.
Es gilt also, Anhaltspunkte zu finden.
Man erinnert sich vielleicht, dass es bei der Hochzeit von Tommy und Jana gewesen sein muss, gerade neulich halt. Und dann fällt einem auf, dass die beiden zwar immernoch verheiratet sind, aber nicht mehr miteinander, und es deshalb vielleicht doch die Art von neulich ist, die schon etwas länger zurückliegt.
In letzter Zeit gibt es ja glücklicherweise zusätzliche Erinnerungsstützen beim Einordnen.
Dann erinnert man sich vielleicht, dass man sich bei dieser Party von Tanja zuletzt gesehen hat, weißte noch, oder in der Kneipe mit Eric, genau, und waren wir da nicht zusammen bei Pattis Auftritt? Na, und dann weiß man schon mal, dass es definitiv über ein Jahr ist. Weil es noch Partys gab. Und Kneipen. Und Bühnen.
Gerade neulich.
Lange her.

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Blauer Himmel, roter Faden

Neulich bin ich anlässlich meines Geburtstages gefragt worden, ob es eine Art roten Faden gäbe, der sich durch mein bisheriges Leben zieht. 
Darüber denke ich seither nach, auch jetzt, während ich über den alten Bauernhof schlendere, durch die alte Scheune hindurch, dann den Hügel hinauf zu den Streuobstwiesen. 
Von hier aus hat man einen atemberaubenden Blick auf das Brandenburger Nirgendwo, in das mich meine Sehnsucht nach Horizont heute verschlagen hat. Hier und jetzt halte ich einen geschätzten Mindestabstand von 1,5 km zum Rest der Menschheit ein, ganz freiwillig, es ist herrlich. 
Auf der Wiese suche ich einen Lieblingsplatz, breite meine Jacke aus und drehe mich wie ein Hund dreimal um die eigene Achse, bevor ich mich niederlasse. Mit dem Rücken lehne ich an einem alten Apfelbaum, die Art von Baum, die aussieht als hätte sie eine Menge zu erzählen. Ich schließe die Augen und lausche eine Weile. 
Die Feldlerchen machen Rabatz, der Sound erinnert ein wenig an den jungen R2D2, auch die Kohlmeisen zwitschern und der Ruf eines Schwarzspechtes knattert durch die frische Luft. Alles ruft Ich! Ich! Hier! 
Frühling, endlich. 
Zufrieden blinzele ich in die Landschaft. 
Weiter hinten am Hang erspähe ich Weidenkätzchen, stolz recken sie ihre Zweige in die Sonne. Ich gebe dem Impuls nach und laufe hin, um ihre frischen flauschigen Knospen anzufühlen. Ein herrliches Gefühl. 

Und eine Erinnerung meldet sich… 

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Junge, Junge

Ich bin so müde, so unglaublich müde. Manchmal glaube ich, ich werde nie wieder wach sein. 
So wenig geschlafen habe ich gar nicht. Manchmal denke ich, es liegt an meiner Art, durch die Welt zu laufen und die Dinge wahrzunehmen. 

Hm, wie kann ich das erklären?
Zusätzlich zu den Dingen, die ich tatsächlich wahrnehme, laufen in meinem Kopf immer noch mehrere Parallelebenen ab. Gerade eben beim Bäcker, zum Beispiel, ist schon wieder passiert: 
Die Namen der Brötchen haben mich aus der Fassung gebracht. 

Dann höre ich mir zu, wie ich Sätze sage wie 
„Ich hätte gerne zwei Junggesellen bitte“ und dann verwirre ich mich selber mit den Bildern und Szenarien, die sofort ungefragt vor meinem inneren Auge ablaufen. 

Kopfkino Nr. 1: 

„Ich hätte gerne zwei Junggesellen bitte!“ 

Die Zange des Bäckereifachverkäufers senkt sich auf einen Berg zappelnder kleine Männchen, zwei von ihnen werden in die Brötchentüte geworfen werden, vielleicht noch etwas verkatert vom Vorabend, Junggesellenabschied, ja, sie wollten es krachen lassen, aber dieses Ende hatten sie nicht erwartet. Hangover ist ein Scheiß dagegen, denken sie, während sie die Chiasamen aus den Haaren schütteln und sich auf ein Rosinenbrötchen retten. Junge, sagt der eine. Und in der Tat, so heißt der Bäcker. 

Kopfkino 2: 

„Ich hätte gerne zwei Junggesellen bitte!“
„Warten sie, da muss ich hinten nachsehen“, sagt der Bäckereifachverkäufer freundlich und verschwindet Richtung Backstube. Er kommt in Begleitung zweier junger Männern zurück, die ihre Schürzen und ihre Bäckermützen abnehmen, während sie auf mich zukommen. „Genau zwei haben wir noch“ sagt der Verkäufer erfreut.
„Danke“ sag ich und betrachte sie mir. „Ich mag sie eigentlich lieber, wenn sie etwas dunkler sind“ sage ich, „aber sei´s drum.“ 
Ich zahle. Wir gehen. 

Leider muss ich sagen, dass sich nur ein Szenario wirklich ereignet hat, und zwar 

Nr. 3:

„Ich hätte gerne zwei Junggesellen bitte!“
„Die sind leider aus“ sagt der Bäckereifachverkäufer bedauernd und deutet auf die reich gefüllte Auslage mit allerlei anderen Sorten. „Darf´s was anderes sein?“ 
Ich lasse meinen Blick schweifen, schwierig, vom Wikinger über den Proteinkracher bis zum Kürbis-Softie ist wirklich alles dabei. Dann habe ich mich entschieden. Ich zeige auf die besonders kernigen Brötchen links außen. 
„Dann nehme ich zwei Ladykracher, bitte“ höre ich mich sagen. Der Verkäufer mustert mich kurz fragend, dann folgt er meinem Fingerzeig.
„Zwei Roggenkrosser, sehr gerne“ sagt er. 
Das ist mir jetzt schon ein bisschen peinlich. Gott sei Dank hat kein anderer Kunde mitgehört. Manchmal ist der Mindestabstand ja doch zu was gut. 

Würde ich eine Bäckerei aufmachen, denke ich beim Rausgehen, wie würden meine Brötchen heißen? 
Ladykracher ist doch eigentlich gar nicht übel, tröste ich mich. Eine Berlin-Edition könnte es geben: die Gerstengöre. Die Dinkel-Bitch. Oder zu Ehren meines Lieblings-Kneipenwirts: den Weizen-Heinzi. 
Denkbar wäre auch eine Musikedition:  Keim after Keim. We will back You.  

Und weil die Welt noch nicht genug Wortspiele hat, mache ich nebenan einen Friseursalon auf. Und ich nenne ihn Hairy Potter. Oder Haireinspaziert. 
Und daneben den Tätowierladen, und den nenne ich Tattoo Tata. 
Und…

Manchmal ist es ganz schön anstrengend, ich zu sein. 
Davon kann man manchmal wirklich ganz schön müde werden. 

 

Ein Sommerabend (oder: Die Krux mit dem Kontext)

Schon als ich zur Tür reinkomme, spüre ich seinen Blick auf mir.  Kein Zweifel, der junge Mann sieht wirklich attraktiv aus. 
Ein warmer Sommerabend, ein Hauch von Gewitter liegt über der Stadt, ein Luftzug trägt den Duft von Lindenblüten und heißem Asphalt in den Raum. Ich suche mir einen Platz und lächele in mich hinein, denn mein Gefühl hat mich nicht getrogen:

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Das Perlhuhn

Das Perlhuhn und ich waren ja inzwischen sogar schon bei der Ladies Night. Himmel, war das aufregend! Juli 2020, Aufzeichnung im Gloria Theater Köln, im Publikum: Christa, meine töpfernde Muse. Das Video des WDR ist nach einem Jahr nun leider nicht mehr verfügbar. Dafür gibt es hier einen etwas ruckeligen Mitschnitt der Premiere des Textes im Jazzclub Schlot. Exklusiv!

Viel Spaß!

Susanne Riedel liest: Das Perlhuhn