Von Sauerflatterern und Sorglosverkäufern

In der Wissenschaft werden verschiedene Stadien beschrieben, die man bei der Entwicklung von Sprache im Kindesalter beobachten kann. Über den Punkt allerdings, an dem die Rückentwicklung einsetzt, habe ich bisher nichts gefunden. Vielleicht sollte ich mal ein paar Sprachwissenschaftler zu uns nach Hause einladen?
Doch eines nach dem anderen.

Zu meinem Hintergrund sei erwähnt, dass ich sozusagen in einem Männerhaushalt lebe. Mein Mann und meine beiden Söhne , 12 und 17, sind herzallerliebst – aber machen es mir zuweilen doch recht schwer, klassisch weiblichen Bedürfnissen, beispielsweise nach Kommunikation oder Tischgestaltung, nachzukommen. Ja, liebe Freundinnen und Freunde der Genderbewegung, irgendwo müssen die Klischees ja herkommen. Ihr müßt jetzt einfach mal tief atmen.

Zünde ich eine Kerze am Abendbrottisch an, fragen sie, ob mir kalt ist.
Frage ich „Und, wie war Euer Tag?“ schauen sie erschrocken auf. (Neulich raunte mein Jüngster seinem Vater zu „Jetzt will sie wieder reden… “)
Bringt mein Mann Basilikum vom Einkaufen mit fragen Sie „Oh, hast Du Mama wieder Blumen mitgebracht?“
So in etwa.
Gestern Abend schwammen Rosenblätter in meinem Badewasser. Sie fragten, ob ich einen Bleistift angespitzt hätte. Und sie hätten da auch noch welche.

Vielleicht hätte ich es ahnen können, dass es spannend werden würde mit diesen zwei wonnigen energiegeladenen Sonntagskindern.
Die häufigsten ersten Worte, die Kinder sagen, sind Mama und Papa.
Die ersten Worte meiner Kinder waren Nein und Mehr.
Nur damit Sie einen Eindruck haben.

Rasch lernten sie weitere Worte dazu (Gott sei Dank), und mehr noch: sie erfanden sehr viele. Bewundert habe ich immer das Talent meiner Kinder, Worte nicht einfach phonetisch sondern sinnhaft zu erfassen. Das merkten wir immer dann, wenn das Gedächtnis das Gemerkte in verwandelter Form hervorbrachte. Also beispielsweise gab es bei uns dann Schmetterlinge, die Sauerflatterer hießen, und noch heute nennen wir die Zitronenfalter gerne so.
Ihre Verwandten sind das Pflaumenauge und der Rotkohlweißling.
Im Urlaub erklärten wir mal, was eine Besucherritze ist und woher – so in etwa – dieser Name kommt. Als unser Kind später in dieselbe fiel, weil die Betten auseinanderrutschten, rief es „Oh! Ich bin in die…. Hallo-Spalte gefallen!“
Manchmal entschärften die Kleinilinge gar die Erwachsenensprache, wenn sie z.B. aus dem aufgeschnappten Lahmarsch! drei Tage später einen doch um einiges höflicheren Trödelpo machten.
Und eine meiner liebsten Wortschöpfungen ist bis heute das Wort Pobremsen. Der Kleine hat sich im Kinderladen fast mal geprügelt, weil er darauf bestand, dass sein Fahrrad Pobremsen hat…
Er meinte Bremsbacken.

Später gab es dann noch ganz poetische Phasen. Ich erinnere mich an einen 5jährigen, der morgens aufstand und sagte: „Ich weiß jetzt, was ich mal werden will: Losverkäufer! Sorglosverkäufer!“

Ach ja, das waren Zeiten. Das alles erzähle ich nun während im Nebenzimmer Sätze gerufen werden wie
„Ey, ich hab schon 20 Geld!“. Oder
„Jakuraz, dieser Hund, hat jetzt vor mir die Philosophie erforscht… gleich mal Krieg erklären.“
Das Computerspiel, das sie spielen, heißt „Civilisation“. Dass ich nicht lache. „Masters of Degeneration“ sollte es heißen. Sicher, es gibt es schlimmere Spiele – aber was es allein mit der Sprache eigentlich so kluger Kinder macht, kann einem die Tränen in die Augen treiben:
„Mist, ich konnte das Judentum nicht verbreiten. Ich bau jetzt mal Hühner an. Bist Du noch Ägypten?“

Habe mir vorgenommen, heute beim Abendbrot nicht zu fragen „Wie war Euer Tag?“
Ich frage einfach mal ganz lässig „Und, seid Ihr noch Ägypten?“.
Und ja, ich werde nach Kräften versuchen, die Antwort zu verstehen.
Vielleicht ist ja noch Licht im Dunkel.
Wir haben schließlich auch die Teletubbies überstanden.