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Im Zug nach Zug

Die Zugtüren schließen und mit sanftem Geruckel beginnt die letzte Etappe meiner Reise. Es ist kurz vor Sonnenuntergang, in einer Viertelstunde geht die Show los und ich werde erst in einer halben Stunde auf der Bühne eintreffen, was mich unter anderen Umständen wahnsinnig stressen würde – aber gemessen am Verlauf des Tages ist das eine wirklich, wirklich gute Nachricht. 
Der Zug ist fast leer, ich mache es mir gemütlich und lasse meinen vermutlich etwas irren Blick aus dem Fenster schweifen. Bereits kurz hinter Zürich verwandelt sich die Landschaft in eine Art Ansichtskartenkatalog. Berge, Seen, Wolkenmeere, umrahmt von zauberhaften Häuschen mit in der Abendsonne glänzenden Dächlein, hier und da flanieren adrette, glückliche Menschen – meine Berliner Synapsen sind überfordert.  
„Puppig!“ hätte mein Vater begeistert gerufen, ein Wort, dessen Existenz mir bis gerade eben völlig entfallen war, und das für meinen Vater ein Ausdruck größter Anerkennung war. Eine Fußgängerzone, eine Sammeltasse, ein hübsches Kleid konnte er puppig finden, wobei die Besonderheit war, dass er es schaffte, das Wort wie ein Berliner Bauarbeiter, der er nun mal war, auszusprechen, er sagte es wie andere Leute in der Kneipe sitzen und Jibs do nich sagen oder Zieh uff Null, die Pfütze und das muss man ja auch erstmal schaffen.
Puppig! ruft es also in mir und es passt, denn wie immer, wenn ich durch die Schweiz reise, fühle ich mich ein bisschen, als hätte man mich in eine Art Puppenstubenszenario gebeamt, umgeben von einer enormen Modelleisenbahnlandschaft. Meine Gefühle schwanken permanent zwischen Begeisterung und Irritation. 

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Berlin – Winterthur

Vor einiger Zeit habe ich mal ein Buch geschenkt bekommen, es heißt „Kunst aufräumen“. Es steht seither recht prominent in meinem Bücherregal, ich nehme es öfter mal zur Hand, denn es bringt mich immer wieder zum Lächeln. Das Buch enthält eine Vielzahl von Bildern, berühmte Kunstwerke, derer sich ein Schweizer Künstler namens Urs Wehrli angenommen hat. Er räumt die Bilder auf, nimmt sie einfach auseinander und sortiert die einzelnen Elemente z.B. bei einem Kandinsky oder Picasso, nach Form und Farbe. Fein säuberlich. Ein Marie Kondo der schönen Künste, quasi, es hat etwas herrlich Absurdes und verstörend Befriedigendes. 

An dieses Buch jedenfalls muss ich denken als ich am Bahnhof Winterthur aus dem Zug steige. Alles und jeder ist plötzlich sehr aufgeräumt und schick, ich schaue mir die Umgebung an, doch viel schlimmer: die Umgebung schaut zurück. 
Eben noch stand ich für Berliner Verhältnisse ausnehmend gut gekleidet, geschminkt, geduscht, geboostert und gebürstet am Hauptbahnhof – und jetzt steige ich aus und fühle mich von dem Moment, da mein Fuß den Bahnsteig touchiert, schäbig. Die Einheimischen mustern mich. Nein, das trifft es nicht, sagen wir: sie streifen ihre Blicke an mir ab. Und sofort sehe ich mich durch ihre Augen. 
Ich muss an diese Bilderrätsel denken, die es früher manchmal in Zeitschriften gab, Finde die sieben Abweichungen zwischen den Bildern, und es ist nicht schwer. Es fühlt sich an als hätte jemand den kaputten Reißverschluss an meiner alten Daunenjacke und die etwas ausgefransten Hosenbeine meiner Lieblings-Jeans mit Rotstift eingekreist, meine ungeputzten Schuhe können mit dem blitzeblanken Boden einfach nicht mithalten, einen Rucksack trägt hier kein Mensch und auch mein Gesicht ist plötzlich ein Problem. Kein Concealer, keine Foundation, was hab ich mir nur gedacht? Und dann noch die ungezupften Augenbrauen, ich komm mir vor wie Theo Waigel, Theo Waigel mit Lippenstift immerhin. Was es nicht zwangsläufig besser macht. 
Ich seufze, dann schultere ich meinen Rucksack, schlurfend und mit hängenden Schultern mache ich mich auf den Weg. Ein Obdachloser vom Gleis gegenüber hebt die Hand zum Gruße.

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