Sonntagmittag, kurz nach 12, wir machen uns auf den Weg.
Der Mann ist gerade nicht in Berlin und hat schon alles per Briefwahl erledigt, doch ich wollte mir den feierlichen Gang zum Wahllokal mit unserem 17jährigen Sohn nicht nehmen lassen, der in diesem Jahr zum ersten Mal wählen darf, wenn auch nur die Bezirksverordnetenversammlung.
Der Himmel ist blau, die Sonne scheint auf die Steglitzer Nebenstraßen als wüsste sie nichts von der Tragweite des heutigen Tages. Erste Kastanien liegen auf den Gehwegen, wir kicken sie mit den Schuhspitzen und lassen sie über die Gehsteigplatten springen. Ein Spektakel, für mich eigentlich das Schönste am Herbst. Kastanien über Gehsteigplatten springen lassen. Das entspannt ungemein, probiert es mal aus. Aber ich schweife ab.
Wir laufen also Richtung Wahllokal, diesmal ist es die Evangelische Grundschule in der Beymestraße. Los geht´s.
Beschwingten Schrittes und gehobener Stimmung biegen wir in die Straße, während wie schon mal Perso, Maske und Wahlbenachrichtung aus den Taschen zuppeln. Wir hoffen, wir sind schnell wieder draußen, denn wir haben das Frühstück heute ausfallen lassen, wollen lieber früher Mittag essen und so langsam meldet sich der Hunger… – in dem Moment sehen wir Warteschlange. Je näher wir herankommen, desto mehr wird uns das Ausmaß bewusst: vom Eingang der Schule über die 30 Meter lange Auffahrt bis zur Straße und dann um die Ecke, den Gehweg entlang stehen Menschen. Schilder auf dem Boden sagen: „Hier nur Schlange für Wahlkreis 211. 210 rechts im Hof.“ Rechts im Hof sehe ich aus der Ferne eine etwa dreiköpfige Schlange. Hoffnung keimt auf, wir schauen auf unsern Wisch: Verdammt. 211. Wir seufzen tief, dann reihen wir uns ein.
Wir zählen die Köpfe in der Schlange vor uns durch. Wir kommen auf 53, aber es sind definitiv noch mehr, denn die Köpfe der auf dem Rollator sitzenden wartenden Seniorinnen sieht man nicht. Mein Sohn betrachtet die Szene eine Weile und schaut mich ungläubig an. „Echt jetzt? sagt er. „Soll ich mal Bescheid sagen, dass die noch ne Kasse aufmachen sollen?!“ und ich liebe ihn für diese Idee.
Die Umstehenden auch.