Die Zugtüren schließen und mit sanftem Geruckel beginnt die letzte Etappe meiner Reise. Es ist kurz vor Sonnenuntergang, in einer Viertelstunde geht die Show los und ich werde erst in einer halben Stunde auf der Bühne eintreffen, was mich unter anderen Umständen wahnsinnig stressen würde – aber gemessen am Verlauf des Tages ist das eine wirklich, wirklich gute Nachricht.
Der Zug ist fast leer, ich mache es mir gemütlich und lasse meinen vermutlich etwas irren Blick aus dem Fenster schweifen. Bereits kurz hinter Zürich verwandelt sich die Landschaft in eine Art Ansichtskartenkatalog. Berge, Seen, Wolkenmeere, umrahmt von zauberhaften Häuschen mit in der Abendsonne glänzenden Dächlein, hier und da flanieren adrette, glückliche Menschen – meine Berliner Synapsen sind überfordert.
„Puppig!“ hätte mein Vater begeistert gerufen, ein Wort, dessen Existenz mir bis gerade eben völlig entfallen war, und das für meinen Vater ein Ausdruck größter Anerkennung war. Eine Fußgängerzone, eine Sammeltasse, ein hübsches Kleid konnte er puppig finden, wobei die Besonderheit war, dass er es schaffte, das Wort wie ein Berliner Bauarbeiter, der er nun mal war, auszusprechen, er sagte es wie andere Leute in der Kneipe sitzen und Jibs do nich sagen oder Zieh uff Null, die Pfütze und das muss man ja auch erstmal schaffen.
Puppig! ruft es also in mir und es passt, denn wie immer, wenn ich durch die Schweiz reise, fühle ich mich ein bisschen, als hätte man mich in eine Art Puppenstubenszenario gebeamt, umgeben von einer enormen Modelleisenbahnlandschaft. Meine Gefühle schwanken permanent zwischen Begeisterung und Irritation.
Rummel!
Wenn der Frühling fast vorbei ist und der Sommer noch nicht angefangen hat.
Wenn die Bäume ihr leuchtendstes Grün feiern und die Blüten des Wilden Jasmin am Wegesrand die Sinne betäuben,
wenn die Natur erwacht ist, aber die Blattläuse noch nicht, und eine vage Sehnsucht nach Waldmeister und Berliner Weiße sich an die Oberfläche der gebeutelten Stadtseele kämpft – dann ist wieder so weit: Es ist Ende Mai. Und die Steglitzer Festwoche beginnt.
Die Steglitzer Festwoche, „der Rummel“, ist eine Südwestberliner Institution und begleitet mich ein Leben lang.
Im Vorfeld lese ich die Ankündigung im Kiezblatt, von 70. Geburtstag ist die Rede, von Riesenrad, Fahrgeschäften und einem „vielfältigem kulinarischen Angebot“. Ich zögere nicht lange und verabrede mich mit meinem alten Freund Andi, den ich schon seit der Grundschule kenne. Gemeinsam haben wir schon manche Runde in der Geisterbahn gedreht, und egal ob man das jetzt wörtlich oder als Metapher nimmt – es stimmt.
Schon beim Geländer der Brücke, die über den Teltowkanal zum Eingang führt, geht es los mit den Erinnerungen.
„Ich hatte ihr eine Rose geschossen“, sagt Andi mit glasigem Blick. „Und hier, bei den Fahrrädern – hat sie mich abserviert.“
„Gute Momente“ bei der Ladies Night
Leute! Ich war bei der ARD Ladies Night in Köln und hatte dort sehr viel Spaß mit den tollen Kolleginnen Lisa Feller, Katie Freudenschuss und Franziska Wanninger. Schaut euch ruhig die ganze Sendung in der Mediathek an, hier geht’s zu meinem Auftritt:
Neues Jahr, neues –
Die Feiertage sind gewuppt, das neue Jahr geschlüpft. Wir beschnuppern uns noch ein wenig, 2024 und ich, und fassen nur langsam Vertrauen.
Wie oft habe ich diesen unsäglichen Satz jetzt schon gehört „Es kann ja nur besser werden“. Es erinnert mich daran, wie meine Tante Erna über die Jahrzehnte hinweg bei jeder Beerdigung sagte „Ach, dann werd ich wohl die nächste sein“. Alles leere Versprechungen.
„Ich wünsche dir ein zauberhaftes Jahr, in dem sich deine Wünsche erfüllen“, schrieb mir eine Freundin jetzt, ernsthaft, und dann fing ich an darüber nachzudenken, was ich mir eigentlich wünsche, was ich für zauberhaft halten würde – und dann hatte ich plötzlich dieses Neunzigerjahre-Video im Kopf von Meat Loaf, I would do anything for love, so eine Beauty and the Beast Geschichte war das , da ging es auch um Zauber und Wünsche, und am Schluss küsst die Schöne das Biest und alles wird ganz hell und das Biest verwandelt sich in – Meat Loaf. So ungefähr war das letzte Jahr. Und ich weiß nicht so recht, ob ich das neue küssen will. Wir lassen es mal langsam angehen.
KI or not KI
Audible empfiehlt mir heute neue Hörbücher. Sie interessieren mich nicht wirklich, aber ich finde die Reihenfolge bemerkenswert:
Das Kind in dir muss Heimat finden / Elternabend / Achtsam morden.
In meinem Kopf entsteht sofort eine Geschichte.
Unweigerlich muss ich daran denken, was mein Cousin Rainer mir jüngst schrieb. Er hatte Chat GPT – von der wenig technikaffinen Mutter eines Freundes auch liebevoll Schätzibitzi genannt – eine Fantasy-Geschichte schreiben lassen und wollte mich nun darüber informieren, dass Autorinnen schon sehr bald nicht mehr gebraucht würden.
Er meint es natürlich gut. Rainer meint es immer gut. Bei mir aber klingen die Worte nach, weniger wegen meiner demnach wenig rosigen Zukunftsaussichten, sondern weil etwas an dieser Art zu denken mich ins Mark trifft.
Gute Momente
Zum Abschluss unserer Frühschoppen-Saison habe ich nochmal meinen Text über das Sammeln guter Momente gelesen. Es lebe die Resilienz!
Viel Spaß beim Reinhören.
Beste Gäste@Eckenga
Das war ein Fest: Mit dem großartigen Johann König zusammen war ich zu Gast beim nicht minder großartigen Fritz Eckenga in Dortmund.
Berlin – Winterthur
Vor einiger Zeit habe ich mal ein Buch geschenkt bekommen, es heißt „Kunst aufräumen“. Es steht seither recht prominent in meinem Bücherregal, ich nehme es öfter mal zur Hand, denn es bringt mich immer wieder zum Lächeln. Das Buch enthält eine Vielzahl von Bildern, berühmte Kunstwerke, derer sich ein Schweizer Künstler namens Urs Wehrli angenommen hat. Er räumt die Bilder auf, nimmt sie einfach auseinander und sortiert die einzelnen Elemente z.B. bei einem Kandinsky oder Picasso, nach Form und Farbe. Fein säuberlich. Ein Marie Kondo der schönen Künste, quasi, es hat etwas herrlich Absurdes und verstörend Befriedigendes.
An dieses Buch jedenfalls muss ich denken als ich am Bahnhof Winterthur aus dem Zug steige. Alles und jeder ist plötzlich sehr aufgeräumt und schick, ich schaue mir die Umgebung an, doch viel schlimmer: die Umgebung schaut zurück.
Eben noch stand ich für Berliner Verhältnisse ausnehmend gut gekleidet, geschminkt, geduscht, geboostert und gebürstet am Hauptbahnhof – und jetzt steige ich aus und fühle mich von dem Moment, da mein Fuß den Bahnsteig touchiert, schäbig. Die Einheimischen mustern mich. Nein, das trifft es nicht, sagen wir: sie streifen ihre Blicke an mir ab. Und sofort sehe ich mich durch ihre Augen.
Ich muss an diese Bilderrätsel denken, die es früher manchmal in Zeitschriften gab, Finde die sieben Abweichungen zwischen den Bildern, und es ist nicht schwer. Es fühlt sich an als hätte jemand den kaputten Reißverschluss an meiner alten Daunenjacke und die etwas ausgefransten Hosenbeine meiner Lieblings-Jeans mit Rotstift eingekreist, meine ungeputzten Schuhe können mit dem blitzeblanken Boden einfach nicht mithalten, einen Rucksack trägt hier kein Mensch und auch mein Gesicht ist plötzlich ein Problem. Kein Concealer, keine Foundation, was hab ich mir nur gedacht? Und dann noch die ungezupften Augenbrauen, ich komm mir vor wie Theo Waigel, Theo Waigel mit Lippenstift immerhin. Was es nicht zwangsläufig besser macht.
Ich seufze, dann schultere ich meinen Rucksack, schlurfend und mit hängenden Schultern mache ich mich auf den Weg. Ein Obdachloser vom Gleis gegenüber hebt die Hand zum Gruße.
Ja / Nein ?
„Ist das jetzt eigentlich typisch deutsches Essen?“ fragt mein jüngerer Sohn mit Blick auf seinen Teller. „Du meinst wegen der braunen Sauce?“ fragt der ältere zurück und kriegt darauf ein Highfive von seiner Freundin.
Mit den Dreien zusammen am Tisch zu sitzen ist meist sehr unterhaltsam. Außerdem eröffnet es die Möglichkeit, in beiläufigen Gesprächen ein wenig ins Teenager-Universum einzutauchen. Man will ja den Anschluss nicht verlieren. „Mein erster Freund ist gerade Vater geworden“, erzählt Emmy, „habe ich auf Instagram gesehen. Voll krass. Aber es war eigentlich auch nicht mein richtiger Freund-Freund, es war mein WhatsApp-Freund.“
Offensichtlich bemerkt sie das Fragezeichen über meinem Kopf „Der war an meiner Schule, wir haben und immer ganz verliebt geschrieben. Aber getroffen haben wir uns eigentlich gar nicht. Hach, das war voll schön, eigentlich…“
Mein Sohn lässt diese Bemerkung gelassen an sich abperlen.
„Da sieht man wieder deutlich unseren Altersunterschied“ erwidert er nur. „Meine erste Freundin war noch eine SMS-Freundin.“
Heuligabend (reloaded)
Manchmal ist es gar nicht die Autokorrektur, manchmal vertippe ich mich auch von ganz alleine. Ein Wort, das dabei seit Jahren immer wiederkehrt, ist Heuligabend. Ein Freud’scher Verschreiber, sozusagen, der die Geschichte der nunmehr fünfzig Weihnachtsfeste meines Lebens eigentlich ganz gut zusammenfasst. Anders gesagt: Es war nicht alles Lametta.
Meine Weihnachtserinnerungen – zumindest die meines Erwachsenenlebens – sind bestimmt von Hetze, Druck, Pflichtterminen mit einer einander zutiefst verachtenden Verwandtschaft, Streit, Kommerz – und meinem dennoch nicht totzukriegenden Wunsch, zu Weihnachten diese „Besinnlichkeit“ herzustellen, von der immer alle sprechen. Vergebens.
In den letzten Jahren nun geht eine Veränderung vonstatten. Die Altvorderen geben nach und nach das Zepter für die Familienfeste aus der Hand (einige auch den Löffel), während aus der nachfolgenden Generation keiner übernehmen möchte. Sowohl an Heiligabend als auch an den Feiertagen ist der Kalender in diesem Jahr deshalb verblüffend leer. Eine völlig neue Erfahrung.
Ob wir damit klarkommen?
Ich will ehrlich sein. Wir kommen sowas von klar.
Nach all den Jahren der Hin- und Herrennerei zwischen den diversen Eltern, Onkeln und Tanten, die man nicht in einem Zimmer versammeln konnte, ohne dass sie einander in kürzester Zeit an die Gurgel gingen (wir hatten es zweimal probiert und waren eindrucksvoll gescheitert), sind wir offiziell die Generation, der man kein schöneres Geschenk machen kann als ein Weihnachtsfest ohne Verpflichtungen.