Ich finde, es gibt seltsame Indikatoren für den Zustand des eigenen Lebens, dieser Tage. Der Spamordner ist einer davon.
In meinem Spamordner wechseln sich momentan die Angebote für Diätprodukte, Potenzpillen und Cannabis-Öl ab, außerdem fordert man mich auf, eine Affäre mit einer verheirateten Frau zu haben. Ich habe über jede einzelne dieser Mails länger nachgedacht als ich es hier zugeben werde.
Schön finde ich, dass ich offensichtlich auch wieder Unterwäschewerbung bekomme, allerdings weniger für die mit der schicken Spitze als vielmehr für sogenannte Funktionsunterwäsche. „Funktionsunterwäsche“! Wenn man mich fragt, hat früher auch die Spitzenwäsche ganz gut – funktioniert, aber nu. Jetzt geht es ums Halten, Schnüren und Formen von Dingen und Körperteilen, die nicht mehr für sich selbst sorgen können.
Mein neuestes Stück ist von Triumph. War in vier Tagen da, macht locker 10 Jahre Schwerkraft wieder wett: Der Tri Action High Performer mit Anti Bounce Technologie ist mein bester Freund; in der Liste der traurigsten Sätze meines Lebens ist dieser recht weit vorne.
Älterwerden ist echt ein Thema und ich schätze, es ist gekommen um zu bleiben. Dieses schleichende vor sich Hinwelken empfinde ich persönlich als sehr herausfordernd. Mein Kollege Lukas hat ein Wort dafür erfunden: Welkschmerz.
Nachdem wir neulich am Rande einer Probe darüber gesprochen hatten, wie die Zeit rast, und dass wir uns langsam beeilen müssen mit diesem „Berühmtwerden“, von dem immer die Rede ist, da kamen mir auf dem Nachhauseweg auch so ein paar Gedanken. Dass wir den Zenit überschritten haben. Diese Phase von Sex and Drugs and Rock´n´Roll verpasst, wo sich das Publikum für uns die Kleider vom Leib gerissen und Unterwäsche auf die Bühne geworfen hätte. Ich habe mir das so richtig ausgemalt, in bunten Farben – aber sein wir realistisch: Wenn da doch nochmal was fliegt, ist es Kompressionsware oder hat zumindest einen Bequembund und einen hohen Elasthananteil. Und wir würden es auch gar nicht aufheben. Weil wir nämlich Rücken haben, verdammte Axt.
Es wird alles einfacher, hatten sie gesagt.
Wenn du erstmal ein gewisses Alter erreicht hast, kommt diese große Gelassenheit. Wechseljahre, ok, aber hey, endlich zyklusunabhängig, Hurra!
Ich für meinen Teil bin ziemlich zyklusunabhängig – ich hab jetzt einfach 24/7 schlechte Laune. Super. Und gleichzeitig sind auch diese kleinlauten Momente noch da, die, in denen ich nicht viel von der Welt will außer auf den Arm. Ziemlich oft sogar. So bin ich gerade drauf, immer im Wechsel zwischen Bedürftigkeit und Krawall.
In diesem Zustand also gehe ich nun ab und zu zum Sport. Es ist ein Experiment, es läuft so naja.
Im Eingangsbereich gibt es eine Tafel, auf die manchmal mit Kreide motivierende Sätze geschrieben werden. Ganz ehrlich, da hat der Teebeutel mal Sendepause, dann quatscht dein Fitnessstudio dich mit Weisheiten zu,
diese Woche steht dort „Erfolg hat drei Buchstaben: TUN!“
Ich seufze, bemühe mich um Contenance, ziehe mich um – und begebe mich aufs Laufband. Ich soll immer erst aufs Laufband, hieß es, zum Aufwärmen.
Das Display der jungen Frau auf dem Laufband neben mir zeigt an, dass sie bereits seit 50 Minuten läuft, alle Achtung. Und wie entspannt sie aussieht, nicht eine Schweißperle auf der faltenfreien Stirn. Na siehste, Susanne, das sieht doch machbar aus. Vielleicht doch alles gar nicht so anstrengend wie du immer denkst denke ich und setze mich beschwingt in Bewegung.
8 Minuten später habe ich Seitenstechen, der Schweiß rinnt über mein gerötetes Gesicht und ich keuche wie nach 40 Jahren Gauloises ohne Filter. Das Einzige an mir, was noch atmungsaktiv ist, ist der Tri Action High Performer. Laut digitaler Kalorienanzeige habe ich bisher den Gegenwert einer Scheibe Knäckebrot verbrannt. Die junge Frau auf dem Laufband neben mir führt über Facetime ein Vorstellungsgespräch ohne das Tempo zu drosseln.
Aus der Anlage tönt One day Baby, we´ll be old.
Erfolg hat drei Buchstaben, denke ich: SOS.
Ein paar Geräten räume ich noch ein, mich ein bisschen zu demütigen. Allein die Namen. Ein Beinstrecker von Human Sports, nichts daran finde ich human. Der Bodycrunch hingegen ist von der Firma Selection. Da denke ich auch jedesmal: sie könnten auch direkt Natürliche Auslese drauf schreiben.
Dann gehe ich zu den Sammelduschen. Wie immer schleiche ich mich in die abgelegenste Ecke.
Die Frau an der Dusche gegenüber, eine etwa 30jährige mit gestähltem Körper, hat mich nicht bemerkt, als sie den Schaum abgespült hat und ihre Augen öffnet, sagt sie nur „Huch!“ und weil ich wohl etwas irritiert schaue, lacht sie mich freundlich an und erklärt:
„Ach, ich habe nur kurz nicht geguckt. Eben stand da noch eine junge Frau – jetzt stehen plötzlich sie da!“
„Haha“ sage ich. „Das denke ich auch jedes Mal, wenn ich in den Spiegel gucke“
Sie versteht nicht.
Aber Witze zu erklären ist noch würdeloser als den eigenen Spamordner durchzulesen. Und einen Tri Action High Performer zu tragen.
Eines Tages wird sie schon verstehen.
Eines Tages verstehen sie alle.