Das schöne Leben

Berlin. Nieselregen. Der Helm sitzt.

Montagmorgen, 7 Uhr 40, mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Regio nach Spandau. Bei den ganzen Insekten am Kanal hat man quasi schon gefrühstückt, wenn man am Bahnhof ankommt. Der kleine Eiweißshock, denke ich müde… Motte Machiato…
Aber das wirklich nervige Summen geht immer erst im Zug los: Hunderte von Pendlern dämmern im Ist-das-Wochenende-wirklich-schon-vorbei-Modus vor sich hin. Lehnen die verkaterten Stirnen an die vibrierenden Fensterscheiben, während ringsum munter Smartphones aller Couleur tönen und summen.

Ich bin kein Freund von Schubladendenken. Eigentlich. Andererseits…
Bei vielen Leuten passt der Klingelton.
Basecap zum Beispiel läßt häufig knirschigen Hip-Hop erwarten.
Da gibt es die trotzig-traditionelle Fraktion mit den durchdringenden Pieptönen.
Es gibt die, die immer noch den elenden Samsung-Pfiff originell finden und bei dem sich jeder dritte an die Tasche faßt, wenn´s pfeift.
Die Laubenpieperfraktion hat grundsätzlich lachende Babys als Klingelton,
Geschäftsleute ab der 2. Führungsebene vibrieren nur. Macht auch nix, weil die das polierte Display eh ohne Unterbrechung betont lässig in der manikürten Hand balancieren.

Dann gibt es noch die Überraschungen. Ich freue mich ja immer wie ein Kind, wenn jemand unerwartet meine Schublade sprengt:
Der flotte Salsa Beat, der die durchscheinende Gestalt im Kirchenbasaroutfit von ihrem Thermobecher Zimttee abruft, kommt unerwartet… Hier hatte ich definitiv mit Schublade 2 gerechnet.
Einmal saß ich einer Frau um die 50 gegenüber, deren Handy auf einmal laut zu sprechen anfing und immer wieder den Satz wiederholte „Mama, Dein Scheiß-Handy klingelt / Mama, Dein Scheiß-Handy klingelt / …“. Dass sie das nicht selbst eingestellt hatte war ihrem Gesicht und der Farbe desselben deutlich anzusehen. Familie … eine tolle Erfindung.

Ich schaue kurz auf mein Handy. Es ist ja nicht so, dass ich ohne wäre. (Ich weiß schon genau, über wen und was ich hier lästere. Ich kann mich manchmal auch selber peinlich finden, so fair bin ich dann schon.)
Nach dem Einschalten erscheint immer der Satz „Normal ist aktiviert“.
Ich liebe diesen Satz. Denke immer ganz versonnen, ach ja, das wär jetzt echt schön. Susanne, wann war in Deinem Leben eigentlich das letzte Mal Normal aktiviert?

Überhaupt finde ich, dass dieser Elektronikwelt manchmal etwas unerwartet Philosophisches anhaftet. Neulich las ich einen Text mit dem Titel „Das schöne Leben“. Es war eine Worddatei, ich las am Bildschirm. Mit einmal wurde der Bildschirm weiß und nach einer kleinen Pause erschien folgende Meldung:
„Es ist ein Fehler aufgetreten. Das schöne Leben wurde leider beendet.“
Wieder dachte ich: ja… –
is was dran.

Weniger philosophisch aber immer für ein Späßchen zu haben ist auch die automatische Textkorrektur meines Smartphones. Es ist noch nicht lange her, so am Sommeranfang, da hatte ich einen sonnigen Moment, den ich via Whatsapp mit meinem Bruder teilen wollte. Nein, kein weltbewegendes Ereignis wurde kommuniziert und auch keine tragende Eingebung. Der Satz hieß in etwa
„Rührei zum Frühstück und Sunshine Reggae – Auszeit auf dem Balkon! J“
Bei Sonne kann man ja manchmal die Buchstaben auf dem Display schlecht erkennen, glücklicherweise entschied ich mich, vor dem Absenden nochmal kurz im Schatten Korrektur zu lesen. Der Satz der dort stand machte mich frösteln:

„Frühreif zum Frühstück, Synagogen Reggae – Ausgezeichnet auf dem Balkan!“
Ich weiß nicht genau, was mein Bruder aus dieser Nachricht heraus gelesen hätte. Aber sie hätte ihn sicher in eine tiefe Besorgnis gestürzt.
Seither bin ich sehr wachsam.
Deaktiviert habe ich die Texterkennung trotzdem nicht, ich finde ihre Vorschläge manchmal ganz unterhaltsam. Als ich mal schrieb „Ich bin heute irgendwie rührselig“ korrigierte das Programm „Ich bin heute irgendwie führerlos“. Die These war interessant. Darüber habe ich echt lange nachgedacht. Die psychologische Dimension, auch die latent-politische Note – alle Achtung, Huawei.
Und auch dass es aus „Mama“ immer „Manager“ machen will finde ich irgendwie rührend.

Aber zurück zu den Montagsfahrern. Die Klingeltöne also klingeln. Das allein wäre ja noch auszuhalten. Das Problem ist vielmehr, dass die Leute danach auch immer anfangen zu sprechen. In allen Ton- und Stimmlagen schildern sie Dinge, die ich nie wissen wollte.
Weghören kann so schwierig sein. Manchmal flüchte ich dann in meine Kopfhörer und decke einen kuscheligen Mantel der Musik über das schnöde Wortgewaber. Meine Kopfhörer sind recht klobig, haben aber einen klasse Sound. Ein Headset will ich nicht. Immer wenn ich ein Headset aufhabe denke ich beim telefonieren, ich müsste das Mikro total doll betont vor meinen Mund halten, damit mich niemand für eine arme Irre beim Selbstgespräch hält. Und das ist ja dann auch wieder unbequem und irgendwie Unfug.

Unsere Zeit, sie ist eine schnelllebige. Vor kurzem noch, also vor, sagen wir mal gut 10, 15 Jahren hätte man über den Sozialpsychiatrischen Dienst nachgedacht, wenn jemand laut redend und lachend in den Bus stieg. Jeder Handynutzer auf der Straße zog noch Blicke auf sich. Mein Freund Sascha hatte deswegen sogar einen fiesen Sturz mit dem Fahrrad: Er hatte sich ein Handy gekauft, fuhr mit dem Rad durch den sommerlichen Park, das (ausgeschaltete!) Handy am Ohr, die Frauen guckten interessiert und er fühlte sich un-glaub-lich cool. Die zweite Hand fehlte dann leider beim Fahren um die Kurve… Headsets hatten damals nur Piloten.
Telefonierten zwei Menschen in der Nähe voneinander dachten wir „guck mal, die telefonieren bestimmt miteinander!“ Und fanden den Gedanken ebenso naheliegend wie lustig. Geschichten aus der Steinzeit, so fühlt es sich an. Als die Telekom noch die Post war, Coffee Kaffee und to go ein Land in Afrika. Neulich hörte ich ein Kind fragen „Aber wenn Ihr damals noch keine Computer hattet… – wie seid Ihr denn dann ins Internet gekommen?“ Und bei meiner Freundin Kathrin mußte der 11jährige Sohn Moritz letzte Woche seine Kindersicherung selbst installieren, weil die Eltern es nicht geschafft haben…
Finde nur ich das seltsam?

Über diesem Gedanken hätte ich jetzt fast meine Station verpasst.
Beim Aussteigen tönt mein Handy. Meine Kollegin hat mir eine Nachricht geschickt:
„Das F in Montag steht für Freude!“

Na dann…