Ich stehe in der Küche. Mein Induktions-Herd hat sich ausgeschaltet, weil er mich vor irgendeiner Gefahr beschützen will, die ich nicht sehe. Die Nudeln sind noch jenseits von al dente, ich habe Hunger, die Kindersicherung blinkt und ich finde die Bedienungsanleitung nicht.
Im Radio reden sie darüber wie man Organe mit 3D-Druckern herstellen kann.
Und ich habe es heute Morgen nicht mal geschafft, die Verteiler-Liste für die Lesebühne in Outlook zu importieren. –
Wann ist mein Leben so kompliziert geworden?
Mittlerweile kann ich die Aussteiger verstehen, die ihre Handys verschenken, in abgelegene Hütten ziehen und ihr Gemüse selbst anbauen.
Es ist soweit, dass ich mich nach offenem Feuer sehne. Ehrlichem Holz. (Damit könnte ich dann auch gleichzeitig Essen kochen und Euch mit Rauchzeichen mitteilen, wann die nächste Lesebühne stattfindet. Und komm mir jetzt nicht mit Energieeffizienz.)
All die Herausforderungen des Alltags – sie sind mir zu komplex. Ich bin studierte Sozialarbeiterin, aber wenn ich über der Vielzahl von Möglichkeiten der Energieversorgung, der Versicherung, Altersvorsorge und Telefon-Tarife sitze und mir obendrein all diese PINS und PUKS und IBANs und BICS merken soll, möchte ich mir manchmal selbst einen Betreuer bestellen.
Ständig ist man mit Informationsverarbeitung und Entscheidungen beschäftigt. Schon vor dem Deo-Regal im Supermarkt geht es los, überall geht es hier um Confidence und Protection und um Zuverlässigkeit und Diskretion. Meine Güte. Ich will die Dinger benutzen und nicht einstellen.
Und wenn ich mit dem Einkauf durch bin, bin ich so durch, dass ich wie neulich mit meinem BVG-Ticket bezahlen will oder statt dem PIN die Summe eingebe, die ich bezahlen soll.
Neben all dem Was und Wieviel schwebt ja auch immer die große Frage des Warum über meinem Kopf.
Warum gibt es Zahnbürsten mit Bluetooth?
Warum heißt ausgerechnet das alkoholfreie Bier Becks Blue?
Überhaupt, Namensgebung für Produkte… Ein älterer Mann saß neulich in einem E-Rollstuhl neben mir. Der E-Rolli kam aus der Serie „Quickie“. Das stand in fetten Lettern auf der Rückenlehne. Ich meine – in Würde altern wird Dir da nicht leicht gemacht, oder? Mit der Logik kannst Du auch gleich noch ne Datingplattform für Senioren erfinden und sie Alttours nennen.
Oder Retropopp.
Ständig also bist Du am Orientieren und Entscheiden. Warst Du früher krank, bist Du zum Arzt gegangen. Heute gibt es derart viele Fachrichtungen, dass Du manchmal über der Entscheidung, ob Du jetzt zum Orthopäden, Chiropraktiker, Psychotherapeuten oder Heilpraktiker gehst, so alt geworden bist, dass eh nur noch der Geriater in Frage kommt.
Beim Abendbrot sind wir neulich beim Thema Akupunktur gelandet, fällt mir dabei ein. Eine Freundin hatte mir von ihren Erfolgen im Kampf gegen den ewigen Heißhunger auf Süßes berichtet. Wir sprachen über das Grundprinzip der Akupunktur, diskutierten das Für und Wider alternativer Behandlungsmethoden und hatten ein richtig interessantes Gespräch. Dachte ich. Bis mein Jüngster heute fragte „Mum, wann gehen wir mich nochmal gegen Döner impfen?“
Nichts begriffen, denkt man. Und andererseits: wenn das seine Möglichkeit ist, die Komplexität der Welt auf das eigene Leben herunterzubrechen – sei´s drum! Vielleicht ist das das Geheimnis der Informationsverarbeitung in Zeiten der Reizüberflutung: Das Übersetzen in die eigene Lebenswelt. Nur speichern, was man begreift. Den Dingen eigene Namen geben. Wohlan denn.
Die Sprache und das Sprachverständnis sind in ständigem Wandel. Ich verstehe sie nicht immer, die Generation nach uns, aber umgekehrt ist es ja nicht anders. Als mein großer Sohn, der Basketballer ist, mal einen schlechten Tag hatte beim Sport, fragte er ganz ernsthaft aus der Dusche heraus, ob wir noch das Shampoo mit der Sprungkraft hätten, die bräuchte er heute. Mein Modekatalog warb für Prämien mit der Überschrift „Jetzt Freundin gewinnen!“ Ein 13jähriger fragte treu: „OK, was muß ich da machen, um eine Freundin zu gewinnen?“
Es kann vorkommen, dass sie Karfreitag mit C schreiben und, wenn ich ein Gedicht rezitiere, sagen „Das ist doch ein schöner Spruch für´s Amnesiealbum.“ Zitiere ich aus einem Louis des Funès-Film und amüsiere mich köstlich, flüstert der eine tröstend zum andern „Mußt Du nicht verstehen. Das war früher, als die Filme noch in Wände geritzt wurden.“ …
Womit wir wieder bei den Rauchzeichen wären.
Ich geh´ schon mal Holz holen.