La vida lokal

Ich mag es regional.
Das ist mir gerade klar geworden. Und ich rede hier nicht von Bioeiern.

In unseren vernetzten Zeiten sitzt neben einem auf dem Sofa ja quasi immer gleich die ganze Welt: Mord, Totschlag und Tragödien aller Kontinente flimmern in Farbe und manchmal auch noch live über unsere diversen Bildschirme. Gelähmt und hilflos sitze ich davor, frage mich, was ich tun kann. Und tue doch wieder – nichts. Doch, ich hole vielleicht die Chips aus dem Schrank und ein Bier aus der Kühle, das beruhigt ein wenig und vertreibt – je nach Menge – auch die Bilder aus dem Kopf.
Doch was bleibt ist stets ein waberndes Gefühl von schlechtem Gewissen und Hilflosigkeit.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn Du denkst, Du bis zu klein, um die Welt zu verändern, dann hattest Du noch nie eine Mücke im Schlafzimmer.
Ich liebe diesen Satz. Kampf dem Gefühl der Ohnmacht!
Aber hey, guck mal ne Weile regelmäßig Tagesschau, dann denkst Du bei Mücke auch nicht mehr an Chakka und Veränderung, sondern an Südamerika und Zika-Virus.

Die Allgegenwart der Weltnachrichten ist ein Kreuz.

Inzwischen gönne ich mir ab und zu eine nachrichtenfreie Auszeit. In der Prignitz zum Beispiel kann man Zimmer mieten, in denen es weder Fernseher noch WLan gibt, und auch mein Handy hat hier keinen Empfang. Äcker und Gärten, alte Mauern, Waldwege. Ein Wochenende hier und ich bin total geerdet.
Beim Frühstück liegt dann immer die Märkische Allgemeine aus. Die Schlagzeilen des heutigen Tages springt mir in dicken Lettern entgegen.
Haltet… Euch… fest:

Die Brandenburger Imker erwarten in diesem Jahr eine durchwachsene Honigernte! Ich hab´s geahnt. Puh. Jetzt isses raus.
Ebenfalls auf Seite 1:
40 Hamster aus Wohnung in Dossow gerettet!
Außerdem wurde die 4. Pritzwalker Heidelbeerkönigin gekürt, dazu sang der Shantychor der Wasserschutzpolizei.

Das Leben kann so schön sein. Das sang schon Farin Urlaub.
Und apropos Polizei: echte Tränen der Rührung steigen spätestens auf, wenn man beim Polizeibericht auf Seite 3 angekommen ist.
Als Berliner entgeht man ja auf den öffentlichen Straßen mehrmals täglich knapp dem Tod. Aber hört Euch mal an, was in Brandenburg los war …. Ich zitiere aus der Märkischen Allgemeinen vom 02.08.2016.

Herzsprung. Ein 26jähriger wurde Sonntag um 9 Uhr in der Fretzdorfer Straße in Herzsprung mit seinem VW kontrolliert. Der 26jährige hatte erweiterte Pupillen. Beim Romberg-Test verhielt sich der Mann unsicher. Einen Drogenschnelltest und alle weiteren polizeilichen Maßnahmen lehnte der Mann ab. Eine Bereitschaftsrichterin ordnete die Entnahme einer Blutprobe an. Betäubungsmittel wurden nicht gefunden.

Punkt.

Das ist wirklich großes Kino.
Aber ich bin auch irgendwie froh, dass es noch keinen Tatort Herzsprung gibt, ich glaube, den würde ich dann immer zum Einschlafen gucken.

Beim Kaffeetrinken im Restaurant von Heiligengrabe –  muß man noch mehr sagen? – befürchte ich dann für einen Moment doch, dass sie mich doch einholt, die Weltpolitik. Es ist ein unüberhörbares Gespräch am Nebentisch, das meine Aufmerksamkeit weckt, hier sitzt eine kittelbunte Frauenschar bei der Mittagspause.
„Den armen Obama, den wollte doch keiner…“ sagt die eine gerade. Kurz darauf: „Und die Angie ist zwar ne zickige Wuchtbrumme, aber eigentlich will die doch auch nur schmusen.“
Nun lausche ich doch interessiert. Das sind echt mal völlig neue Sichtweisen.
Erst als sie weiterspricht („Obama war gestern wieder voller Spinnweben als er aus dem Schuppen kam“) ahne ich langsam, dass es sich bei Obama und Angie um ihre Katzen handeln muss. Im Weggehen höre ich noch, dass Angie sich immer versteckt, wenn sie eine Maus sieht. Hm. So unpolitisch ist das Gespräch vielleicht doch nicht.

Ich mag es, das Lokale, das Regionale, es tut mir gut, mal so zwischendurch. Es verbindet mich mit der direkten Umwelt und läßt mich nicht ohnmächtig zurück angesichts entfernter Dramen:
Ich werde nach Kräften Honig von Brandenburger Imkern kaufen. Wer weiß, vielleicht gebe ich auch einem der 40 Hamster aus Dossow ein neues Zuhause. Und wenn mir morgen auf dem Weg zum Bahnhof ein VW-Fahrer mit erweiterten Pupillen entgegen kommt, weiß ich Bescheid.

Morgen schon werde ich mich wieder aufregen über Donald Trump und mir wünschen, dass die USA in dem Fall aus der besagten Mücke keinen Elefanten im Porzellanladen machen. Versprochen.
Aber bis dahin habe ich noch Zeit. Aus-Zeit. Und lese lieber noch ein wenig in einem Artikel über Michael Müller.
Das entspannt ungemein.

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