Ich lausche nicht.
Also, eigentlich. Mithören, das tu ich schon hin und wieder. Man hat ja nicht immer die Wahl. Heute früh in der Bahn zum Beispiel war es wieder soweit.
R4 Richtung Rathenow. Zwei mittelalte Frauen in erdfarbenen Anoraks saßen neben mir und redeten miteinander. Ich weiß, „Anorak“ sagt heute kein Mensch mehr. Aber glaubt mir, das was die anhatten – das waren Anoraks.
Wenn ich hier schreibe, sie redeten miteinander, ist das möglicherweise ein bißchen übertrieben. Vielmehr könnte man sagen, sie… redeten. Ich kenne das aus meiner Verwandtschaft. Alle sitzen um den Tisch und jeder erzählt was vor sich hin, nickt ab und zu einem anderen zu und tut so als würde er dem zuhören. Als Kommunikation getarnte Monologe. So war das bei den Anoraks auch. O-Ton:
„Und ich sag so und so, sag ich, aber er meinte lieber anders, na und dann wußt´ ich gar nich mehr.“
Es sind Sätze wie diese die man nur schwer erfinden kann. Und so geht es in einem fort. Auch optisch erinnert sie ein bißchen an Else Tetzlaff.
Ihre Sitznachbarin nickt die ganze Zeit eifrig, erzählt aber gleichzeitig die großartige Geschichte der Urlaubsplanung in ihrer Abteilung. „Und denn sachte die Kollegin, das ist ja allerhand, sachte die, und ich mein kann man ja auch verstehen irgendwo.“
Wenn man da ne Weile zuhört, muß man echt aufpassen, dass man seine Station nicht verpasst, weil das eigene Gehirn irgendwann die Notabschaltung aktiviert und auf Lalala-Modus umgestellt hat. Dann ist man schwupps, in Rathenow, und das macht den Tag dann auch nicht unbedingt besser.
Es kommt erschwerend hinzu, dass zwei Sitze weiter eine alte Dame mit ihrem Rollator sitzt und mit ihrem Handy telefoniert. Sie kommt offenbar selten zu Wort, man hört sie ab und zu mal einen weisen Satz sagen wie „Tja, Geld gibt sich schnell aus…“ oder „Ja ja, Undank ist der Welten Lohn…“
Der eine Anorak beendet gerade eine unglaublich lange, langweilige und jeden roten Faden entbehrende Geschichte mit den triumphierenden Worten „ Und dadurch dass ich gleich in den richtigen Wagen gestiegen war, war ich dann die 1. Im Fahrstuhl und hab schnell gedrückt bevor die anderen alle kamen. Da hab ich mich dann gefreut.“
Ende der Geschichte.
„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben…“ sagt die alte Dame gerade in ihr Handy.
Ich muß hier raus.
Gott sei Dank ist die nächste Station meine.
Die alte Dame beendet ihr Telefonat und fragt mich freundlich, ob ich ihr den Rollator raustrage. „Wer viel fragt, kriegt viel Antwort“ hätte ich fast erwidert, aber ich kenne ihren Humor nicht, halte lieber den Schnabel und helfe natürlich gern. Mehr noch, ich halte ihr sogar den Fahrstuhl fest, bis sie in Ruhe eingestiegen ist. Mein Blick sucht den Horizont hinter den Fahrstuhlscheiben. Sie betrachtet mich aufmerksam und ein bißchen verschmitzt. Vielleicht sieht sie mir meine Erleichterung darüber an, dass hier in diesem Fahrstuhl gerade wohltuende Stille herrscht.
Als ihr Handy klingelt lächelt sie mich kurz an, schaltet es dann aus.
„Wenn alles still ist geschieht am meisten…“ flüstert sie mir zu.
Unten angekommen hält sie für mich und mein Fahrrad die Tür auf. Wortlos wünschen wir uns einen schönen Tag und gehen unserer Wege.
Reisende soll man nicht aufhalten.