Sport

Na toll.
Sonntag. 10:07, eine Whatsapp-Nachricht: Unser sonniger Freund Ramin ist gerade schon mal 75 km durch den Morgen geradelt, schreibt er, und frühstückt jetzt.
Wahrscheinlich eine halbe Grapefruit, denke ich, und dreh mich auf die andere Seite. Noch im Halbschlaf hadert mein Gewissen mit der Tüte Chips von gestern Abend. Weiterschlafen klappt nicht. Ich gebe auf und beschließe, Kaffee zu kochen.
Also, Kaffee kochen zu lassen.
Da wo andere die Kaffeemaschine einschalten, schalte ich meinen Mann ein. Lange also freundlich nach rechts. Nix. Ein kaltes, leeres Bett. Und ein Zettel:

„Bin beim Kieser Training, bis später!“

Ich mag diesen Tag nicht. Diese ganzen funktionierenden ausgeschlafenen Menschen am frühen Morgen sind mir unheimlich. Gehe in die Küche und mache Kaffee. Mürrisch betrachte ich die herumliegenden Chipskrümel. Mahnmal abendlicher Eskapaden.
Wo andere Leute ein Alkoholproblem haben, da habe ich ein Chipsproblem. Ich kenne kein Maß. Mich wundert, dass diese Krümel hier überlebt haben. Wäre Griechenland eine Chipsfabrik in meiner Nähe – es gäbe Hoffnung.

10:30 Uhr. Erstmal duschen gehen. Ziehe den Bauch ein, obwohl ich alleine bin. Verschlucke mich, als es an der Tür klingelt. Öffne – tropfend und gänzlich uneingezogen in meinen Bademantel gehüllt – dem Nachbarn. Er geht gerade joggen und wollte mir noch das Paket bringen, das der Bote gestern abgegeben hat. Was hatte ich gleich bestellt? Ach ja! Die Beschreibung dieses Sport-BHs hatte galaktisch geklungen, ja, auch der Preis astronomisch – aber die Kundenrezensionen hatten mich überzeugt. Kathleen 2000 schrieb mit 5 Sternchen „Da bewegt sich nichts mehr – und man kriegt sogar Luft!!!“ – Ich meine… was will man mehr?
Luft kriegen finde ich toll! Und nicht bewegen klingt auch prima.

Packe das Wunderwerk aus und ziehe es gleich mal an. Der Wahnsinn. Das Ding war in 6 Tagen da, macht aber locker 10 Jahre Schwerkraft wieder gut. Hut ab. Der „Triaction High Performer 01“ von Triumph. So high war an mir lange nix mehr.

In jeder Hinsicht gehobener Stimmung schreite ich durch den Morgen. Und ja, ich bin bereit für´s Fitness Studio. Auf geht´s. Hochmotiviert schultere ich die farblich mit meinen Schuhen korresponierende Sporttasche und radle in die Schloßstraße. Fitness Forest. 5. Stock. Durch die Panoramaschreiben kann man wunderbar herablassende Blicke auf die eisessenden Passanten und die XL-Abteilung von C&A werfen. (Ich weiß noch wie ich früher von der Haltestelle aus mitleidige Blicke zu den armen Affen auf den Laufbändern da oben geworfen habe, aber heute bin ich 40+, auf der andern Seite und versuche, nicht daran zu denken.)

Umziehen, Handtuch, Selters. Beim Weg durch die Umkleidekabine sehe ich Frauen, die sich vor dem Spiegel ihre Füße föhnen. Erst seit ich hier Mitglied bin, weiß ich, dass es Frauen gibt, die sich ihre Füße föhnen.

LAT-Zug, Body Crunch, Beinpresse. Als ich schon einigermaßen am Ende bin und mich vorsichtig zum Rudern niederlasse drehen sie die Musik lauter. Aus den Lautsprechern dröhnt I just wanna make You sweat. Könnte schwören, dass diese hippen Trainer hinterm Tresen kichernd zu mir rüberschauen. Mein altes Schultrauma meldet sich. Ich fühle mich von allen beobachtet. Sehe mich mit 14 Hochsprungprüfungen absolvieren… Herr Bergmann wirft sein Schlüsselbund nach uns, wenn wir reissen. Und die Jungs lachen…
OK, Susanne, Gegenwart jetzt. Mehr als vierzig Jahre und zwei Kinder sind durch diesen Körper gegangen, also heul nicht. Trotzig gehe ich zum Crosstrainer. Stöpsele meine Kopfhörer für die Fernseher an und gebe alles.
Auf Kanal 1 läuft ein Musikvideo von Shakira in Halbnackt. Nicht gut für die orangengehäutete Frauenseele. Kanal 2: eine Kochshow. Kanal 3: kein Scherz – Nutella Werbung. Die Leute auf den Laufbändern vor mir, die gerade Kanal 3 schauen, laufen schnell und verzweifelt. Ist es Schweiß oder Speichel, den sie sich abwischen?

Weiter hinten im Trainingsraum kann ich den laufenden Kurs beobachten. Sieht nach Zumba aus. Lauter mittelalte Frauen schwingen gut gelaunt zum Takt. Nett! Ja, vielleicht gehe ich meine Gruppenphobie aktiv an und probiere das nächste Mal Zumba aus. Chakka.
Während ich fröhlich über diese Idee nachdenke beobachte ich eine junge Frau vor mir auf dem Laufband. Es scheint den „Triaction High Performer“ auch für den Arsch zu geben, denke ich. Die Möglichkeit, dass das alles echt und sportgestählt ist, was ich da sehe, macht mir Angst. Sie beendet ihr Lauftraining. Als sie sich umdreht sehe ich die Aufschrift auf ihrem T-Shirt: „Fuck Zumba“.
Ich will nach Hause. Ich kenne das Lied nicht, das sie jetzt spielen. In meinem Kopf singt Freddy Quinn Rolling Home.
Schrank 208. Ja, entspricht in etwa meinem gefühlten Alter. Mit nassen Haaren verlasse ich das Studio. Konnte den Föhn nicht mehr anheben.
Ob wir noch Nutella haben?