Es ist jetzt ungefähr sechs Jahre her. Ina Müller würde singen „Das ist jetzt ungefähr / drei Männer her“. Es begab sich also zu der Zeit, dass ein Duft von der Küche in der Vionvillestraße ausging, den nie zuvor ein Mensch vernommen hatte. Auf der ewigen Suche nach meinem ganz persönlichen Geist der Weihnacht hatte ich stur und an allen Einwänden vorbei entschieden, an Heiligabend einen Gänsebraten zu bereiten. Jauchzet, frohlocket. Ich war wild entschlossen, mich gegen die ungeflügelten Jahresendzeiterlebnisse der letzten Dekade aufzulehnen: gegen das Gehetze und Geputze, bevor meine Schwiegermutter zu Besuch kommt, gegen das ungemütliche Herunterschlingen kalter Buffets, damit die Kinder schnell an ihre Geschenke können, das Fehlen des Schnees, gegen Playmobil im allgemeinen und gegen das immer so rationierte Gänseessen bei Tante Hilde am 1. Feiertag im besonderen.
Also kaufte ich erstmal eine 5,2 kg schwere Gans. Wenn schon, denn schon.
Als sie so in meiner Küche lag, neben dem Beifuß und den Äpfeln (Cox Orange, Kind, hörte ich meine Mutter selig sprechen, immer Cox Orange), schien mich die Gänsehaut doch ein wenig anklagend anzuschauen. Stadtkind, das ich bin, finde ich tote Tiere im Ganzen schon recht unheimlich und goss mir erstmal ein Glas Rotwein zum Mutmachen ein.
Die Innereien kamen direkt in den Müll. Ok.
Auswaschen. – Check. Nicht schön, aber check.
Den Brustkorb von innen mit Gewürzen einreiben. Puuh… Ich wußte schlagartig wieder, warum ich nicht Chirurgin werden wollte.
Aber das ist das Plus der Riedel´schen Widderlinie – sie lassen sich von einer Gans nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Die Sturheit siegte, die Gans ward gefüllt und präpariert.
Zuletzt war ich unsicher. Die Anleitung aus dem Internet sprach von „Verschließen Sie den Braten“…
Was war hier gemeint?
Ich rief meine letzte lebende Verwandte unter den Altvorderen an, meine Tante Gisela. Tante Gisela hat Alzheimer, war auch recht verwundert, warum ich meine Mutter nicht fragte und fragte auch immer mal wieder, wer dran sei. Aber als ich um Hilfe beim Gänsebraten bat, sprudelten die Worte: „Na, das mußt Du nähen, Kind. Du hast doch sicher eine Stopfnadel?“
Hatte ich.
Es war Heiligabend, die Sonne ging gerade unter, und ich nähte einer 5 Kilo-Gans den Arsch zu. (Ich weiß noch, dass ich diesen Satz wie paralysiert vor mich hin murmelte: „Esistheiligabenddiesonnegehtgeradeunterundichnäheeinerfünfkilogansdenarschzu.“)
Als das Vieh im Ofen war, nahm ich mir erstmal einen Schnaps.
Als es anfing, nach Gänsebraten und Äpfeln zu duften, den dritten, und mir wurde ganz warm im Gesicht und ums Herz.
Als meine Schwiegermutter klingelte, war mir schon alles egal. Es war Heiligabend, es gab Gänsebraten und ich war glücklich wie ein Kleinkind.
Ein kleiner Triumph über die familiären Traditionen, die Würstchen und Kartoffelsalat hießen.
Ein Triumph über meine Schwiegermutter, die das alles schon sehr seltsam fand, wie eigentlich alles, was nicht ihre Idee ist.
Und ein Triumph über meine Weihnachtsdämone.
Wer braucht schon Schnee. Der gute Geist kam in Gänsegestalt.
Nur nähen, nähen kann nächstes Mal bitte jemand anders.