Alle Beiträge von Susanne Riedel

Sehnsucht nach Rauchzeichen

Ich stehe in der Küche. Mein Induktions-Herd hat sich ausgeschaltet, weil er mich vor irgendeiner Gefahr beschützen will, die ich nicht sehe. Die Nudeln sind noch jenseits von al dente, ich habe Hunger, die Kindersicherung blinkt und ich finde die Bedienungsanleitung nicht.
Im Radio reden sie darüber wie man Organe mit 3D-Druckern herstellen kann.
Und ich habe es heute Morgen nicht mal geschafft, die Verteiler-Liste für die Lesebühne in Outlook zu importieren. –
Wann ist mein Leben so kompliziert geworden?

Mittlerweile kann ich die Aussteiger verstehen, die ihre Handys verschenken,  in abgelegene Hütten ziehen und ihr Gemüse selbst anbauen.
Es ist soweit, dass ich mich nach offenem Feuer sehne. Ehrlichem Holz. Sehnsucht nach Rauchzeichen weiterlesen

Miss Molly und die Elfenbeinküste

Ärgern Sie sich über Spam Mails?
Ich schon. Meistens. Insbesondere, wenn ich so vermeintlich passgenaue Werbung aufgrund meines Kaufverhaltens zugesandt bekomme. Da bestellst Du einmal ein Kleidungsstück in Größe 44 – und drei Tage später werden Dir in Deinem Mailaccount ungefragt Diät-Produkte und Minimizer-BHs angepriesen, während der Postbote mit abfälligem Blick Übergrößenkataloge liefert, die Du nie bestellt hast, und die von Firmen kommen, die so fröhliche Namen tragen wie Happy Size oder Miss Molly.
Der Tag ist dann erstmal gelaufen. Da kann man schon mal aus Frust ne Tafel Schokolade drauf essen. Ich meine, was schicken die Menschen, die Größe 34 bestellen? Essen? Probiere ich vielleicht einfach mal aus. Ich bestelle ein Kleid in 34, ne Babymütze, Inkontinenzeinlagen und ne Bohrmaschine. Allein schon um dieses fiese Programm mal zu verwirren, das da immer mein Käuferprofil erstellt. Da soll es sich mal die Zähne dran ausbeißen.

Mein Friseur Günther zum Beispiel ist Biker, so richtig durch und durch. Cooler Typ. Der kocht auch keinen Kaffee, wenn Du kommst, der sacht hinsetzen, Haare schneiden. Kaffee kannze nebenan trinken. Und während er so schnippelt Miss Molly und die Elfenbeinküste weiterlesen

Steglitz Slam 2016: Taschentherapie

Am 11. Juni 2016 fand der 2. Steglitz Slam im Café GM26 statt.
Organisiert vom Kunstraum Steglitz (kunstraumsteglitz.de) zeigte sich hier die bunte Seite dieses sonst eher grau-grünen Bezirks: tolle Poeten, ein wunderbares Publikum, kühler Weißwein… und als Vorjahressiegerin durfte ich diesmal außer Konkurrenz als Featured Poet lesen.
Yeah.

Viel Spaß beim Reinhören!

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Moderator Sven Breitenstein (Mitte) beim Abschluss-Selfie mit Poeten und Publikum

La vida lokal

Ich mag es regional.
Das ist mir gerade klar geworden. Und ich rede hier nicht von Bioeiern.

In unseren vernetzten Zeiten sitzt neben einem auf dem Sofa ja quasi immer gleich die ganze Welt: Mord, Totschlag und Tragödien aller Kontinente flimmern in Farbe und manchmal auch noch live über unsere diversen Bildschirme. Gelähmt und hilflos sitze ich davor, frage mich, was ich tun kann. Und tue doch wieder – nichts. Doch, ich hole vielleicht die Chips aus dem Schrank und ein Bier aus der Kühle, das beruhigt ein wenig und vertreibt – je nach Menge – auch die Bilder aus dem Kopf.
Doch was bleibt ist stets ein waberndes Gefühl von schlechtem Gewissen und Hilflosigkeit.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn Du denkst, Du bis zu klein, um die Welt zu verändern, dann hattest Du noch nie eine Mücke im Schlafzimmer.
Ich liebe diesen Satz. Kampf dem Gefühl der Ohnmacht!
Aber hey, guck mal ne Weile regelmäßig Tagesschau, dann denkst Du bei Mücke auch nicht mehr an Chakka und Veränderung, sondern an Südamerika und Zika-Virus. La vida lokal weiterlesen

Reisen bildet

Ich lausche nicht.

Also, eigentlich. Mithören, das tu ich schon hin und wieder. Man hat ja nicht immer die Wahl. Heute früh in der Bahn zum Beispiel war es wieder soweit.

R4 Richtung Rathenow. Zwei mittelalte Frauen in erdfarbenen Anoraks saßen neben mir und redeten miteinander. Ich weiß, „Anorak“ sagt heute kein Mensch mehr. Aber glaubt mir, das was die anhatten – das waren Anoraks.
Wenn ich hier schreibe, sie redeten miteinander, ist das möglicherweise ein bißchen übertrieben. Vielmehr könnte man sagen, sie… redeten. Ich kenne das aus meiner Verwandtschaft. Alle sitzen um den Tisch und jeder erzählt was vor sich hin, nickt ab und zu einem anderen zu und tut so als würde er dem zuhören. Als Kommunikation getarnte Monologe. So war das bei den Anoraks auch. O-Ton: Reisen bildet weiterlesen

Da traut sich was zusammen

Moni und Hein heiraten.
Sie feiern im Sommerschloss Glienicke ein rauschendes Fest, mit netten Menschen, guter Musik, Himbeeren, Sekt und Sommer. Was will man mehr?
Ich freue mich unbändig für die beiden, denn hier ist wirklich zusammengewachsen was zusammen gehört.
Ich war auch schon bei so Hochzeiten wo man eher dachte Hmm… echt jetzt..?
Heirat als Versuch der Beziehungsrettung, zum Beispiel. Oder Trotzheiraten.
Es gab diese Hochzeiten in sehr dunklen katholischen Kirchen, bei denen meine innere Stimme immer das Ave Maria verweigert und mir beim Ringetausch mit dem frisch konvertierten blassen Bräutigam unweigerlich die Worte vom Schicksalsberg in den Sinn kommen: Da traut sich was zusammen weiterlesen

Mutterntag

Waren Sie mal im Baumarkt? Haben Sie mal nachgesehen, wie viele Arten von Muttern es gibt?!
Spindelmutter… bin ich so oft. Drehe mich um mich selbst. Sehnsüchtig blicke ich dann auf und beobachte all die Flügelmütter dort oben. Und spinne doch meinen Faden weiter.
Für meine Kinder bin ich immer da. Ich beschütze sie, werde zur Ringmutter. Wenn ich schlecht drauf bin auch zur Schnappmutter. Und wenn mir einer ganz blöd kommt, macht er schon mal Bekanntschaft mit der Blindnietmutter. (Meine Kinder gucken dann immer ganz erstaunt.)
Zuweilen aber ist diese Mutter auch eine Käfigmutter. Wirklich schlimm wäre es erst, wenn sie nicht mehr versuchte auszubrechen.
Die Kontermutter.
Oft Schweißmutter.
Und wenn ein kleiner Sechsjähriger dann zwischen Abendbrot und Zahnbürste sagt „Mama, Du siehst aus wie eine Prinzessin!“
Dann – ja, dann bin ich die
Kronenmutter.

Brandenburger Windschnitt

Brandenburg.
Rainald Grebe hat gesungen „Wenn man zur Ostsee will muss man durch Brandenburg.“  Wie wahr…
Mein Blick geht ein wenig in der kargen Landschaft spazieren. Was soll er auch machen. Braungrauer Acker zieht vorüber. Dann, am Rand der Bahnstrecke bei Gransee: schicke Häuser und Gärten, dicht an dicht. Und in einem dieser Gärten: eine Yacht. Der Name prangt stolz am Bug:
Igel.
Eine Yacht namens…
Igel?

Welcome to the Hotel California, summt es mir durch den Kopf.
In mir keimt ein Verdacht.
Ich sehe den bemühten Blaumann in der KfZ-Werkstatt im Nachbardorf plötzlich ganz deutlich  vor mir wie er sagt „Wie soll det Schmuckstück denn heißen? Klar Chef, Igel, machen wa. Dunkelblau auf weiß, extra witterungsfester Lack, versteht sich, doppelter Anstrich, logo…“

In all ihrer weißen Windschnittigkeit liegt sie nun da, im Granseer Vorgarten.
„Fly like an Eagle… “ summe ich vor mich hin…
In meinem Kopf entstehen ganz neue Bilder zu dem Song.  Ein wenig Mitleid habe ich schon mit dem stolzen Stück.
Lass den Mast nicht hängen.
Time keeps on slippin´into the future.

Das schöne Leben

Berlin. Nieselregen. Der Helm sitzt.

Montagmorgen, 7 Uhr 40, mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Regio nach Spandau. Bei den ganzen Insekten am Kanal hat man quasi schon gefrühstückt, wenn man am Bahnhof ankommt. Der kleine Eiweißshock, denke ich müde… Motte Machiato…
Aber das wirklich nervige Summen geht immer erst im Zug los: Hunderte von Pendlern dämmern im Ist-das-Wochenende-wirklich-schon-vorbei-Modus vor sich hin. Lehnen die verkaterten Stirnen an die vibrierenden Fensterscheiben, während ringsum munter Smartphones aller Couleur tönen und summen.

Ich bin kein Freund von Schubladendenken. Eigentlich. Andererseits… Das schöne Leben weiterlesen