Alle Beiträge von Susanne Riedel

La vida lokal

Ich mag es regional.
Das ist mir gerade klar geworden. Und ich rede hier nicht von Bioeiern.

In unseren vernetzten Zeiten sitzt neben einem auf dem Sofa ja quasi immer gleich die ganze Welt: Mord, Totschlag und Tragödien aller Kontinente flimmern in Farbe und manchmal auch noch live über unsere diversen Bildschirme. Gelähmt und hilflos sitze ich davor, frage mich, was ich tun kann. Und tue doch wieder – nichts. Doch, ich hole vielleicht die Chips aus dem Schrank und ein Bier aus der Kühle, das beruhigt ein wenig und vertreibt – je nach Menge – auch die Bilder aus dem Kopf.
Doch was bleibt ist stets ein waberndes Gefühl von schlechtem Gewissen und Hilflosigkeit.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn Du denkst, Du bis zu klein, um die Welt zu verändern, dann hattest Du noch nie eine Mücke im Schlafzimmer.
Ich liebe diesen Satz. Kampf dem Gefühl der Ohnmacht!
Aber hey, guck mal ne Weile regelmäßig Tagesschau, dann denkst Du bei Mücke auch nicht mehr an Chakka und Veränderung, sondern an Südamerika und Zika-Virus. La vida lokal weiterlesen

Reisen bildet

Ich lausche nicht.

Also, eigentlich. Mithören, das tu ich schon hin und wieder. Man hat ja nicht immer die Wahl. Heute früh in der Bahn zum Beispiel war es wieder soweit.

R4 Richtung Rathenow. Zwei mittelalte Frauen in erdfarbenen Anoraks saßen neben mir und redeten miteinander. Ich weiß, „Anorak“ sagt heute kein Mensch mehr. Aber glaubt mir, das was die anhatten – das waren Anoraks.
Wenn ich hier schreibe, sie redeten miteinander, ist das möglicherweise ein bißchen übertrieben. Vielmehr könnte man sagen, sie… redeten. Ich kenne das aus meiner Verwandtschaft. Alle sitzen um den Tisch und jeder erzählt was vor sich hin, nickt ab und zu einem anderen zu und tut so als würde er dem zuhören. Als Kommunikation getarnte Monologe. So war das bei den Anoraks auch. O-Ton: Reisen bildet weiterlesen

Da traut sich was zusammen

Moni und Hein heiraten.
Sie feiern im Sommerschloss Glienicke ein rauschendes Fest, mit netten Menschen, guter Musik, Himbeeren, Sekt und Sommer. Was will man mehr?
Ich freue mich unbändig für die beiden, denn hier ist wirklich zusammengewachsen was zusammen gehört.
Ich war auch schon bei so Hochzeiten wo man eher dachte Hmm… echt jetzt..?
Heirat als Versuch der Beziehungsrettung, zum Beispiel. Oder Trotzheiraten.
Es gab diese Hochzeiten in sehr dunklen katholischen Kirchen, bei denen meine innere Stimme immer das Ave Maria verweigert und mir beim Ringetausch mit dem frisch konvertierten blassen Bräutigam unweigerlich die Worte vom Schicksalsberg in den Sinn kommen: Da traut sich was zusammen weiterlesen

Mutterntag

Waren Sie mal im Baumarkt? Haben Sie mal nachgesehen, wie viele Arten von Muttern es gibt?!
Spindelmutter… bin ich so oft. Drehe mich um mich selbst. Sehnsüchtig blicke ich dann auf und beobachte all die Flügelmütter dort oben. Und spinne doch meinen Faden weiter.
Für meine Kinder bin ich immer da. Ich beschütze sie, werde zur Ringmutter. Wenn ich schlecht drauf bin auch zur Schnappmutter. Und wenn mir einer ganz blöd kommt, macht er schon mal Bekanntschaft mit der Blindnietmutter. (Meine Kinder gucken dann immer ganz erstaunt.)
Zuweilen aber ist diese Mutter auch eine Käfigmutter. Wirklich schlimm wäre es erst, wenn sie nicht mehr versuchte auszubrechen.
Die Kontermutter.
Oft Schweißmutter.
Und wenn ein kleiner Sechsjähriger dann zwischen Abendbrot und Zahnbürste sagt „Mama, Du siehst aus wie eine Prinzessin!“
Dann – ja, dann bin ich die
Kronenmutter.

Brandenburger Windschnitt

Brandenburg.
Rainald Grebe hat gesungen „Wenn man zur Ostsee will muss man durch Brandenburg.“  Wie wahr…
Mein Blick geht ein wenig in der kargen Landschaft spazieren. Was soll er auch machen. Braungrauer Acker zieht vorüber. Dann, am Rand der Bahnstrecke bei Gransee: schicke Häuser und Gärten, dicht an dicht. Und in einem dieser Gärten: eine Yacht. Der Name prangt stolz am Bug:
Igel.
Eine Yacht namens…
Igel?

Welcome to the Hotel California, summt es mir durch den Kopf.
In mir keimt ein Verdacht.
Ich sehe den bemühten Blaumann in der KfZ-Werkstatt im Nachbardorf plötzlich ganz deutlich  vor mir wie er sagt „Wie soll det Schmuckstück denn heißen? Klar Chef, Igel, machen wa. Dunkelblau auf weiß, extra witterungsfester Lack, versteht sich, doppelter Anstrich, logo…“

In all ihrer weißen Windschnittigkeit liegt sie nun da, im Granseer Vorgarten.
„Fly like an Eagle… “ summe ich vor mich hin…
In meinem Kopf entstehen ganz neue Bilder zu dem Song.  Ein wenig Mitleid habe ich schon mit dem stolzen Stück.
Lass den Mast nicht hängen.
Time keeps on slippin´into the future.

Das schöne Leben

Berlin. Nieselregen. Der Helm sitzt.

Montagmorgen, 7 Uhr 40, mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Regio nach Spandau. Bei den ganzen Insekten am Kanal hat man quasi schon gefrühstückt, wenn man am Bahnhof ankommt. Der kleine Eiweißshock, denke ich müde… Motte Machiato…
Aber das wirklich nervige Summen geht immer erst im Zug los: Hunderte von Pendlern dämmern im Ist-das-Wochenende-wirklich-schon-vorbei-Modus vor sich hin. Lehnen die verkaterten Stirnen an die vibrierenden Fensterscheiben, während ringsum munter Smartphones aller Couleur tönen und summen.

Ich bin kein Freund von Schubladendenken. Eigentlich. Andererseits… Das schöne Leben weiterlesen

Von Sauerflatterern und Sorglosverkäufern

In der Wissenschaft werden verschiedene Stadien beschrieben, die man bei der Entwicklung von Sprache im Kindesalter beobachten kann. Über den Punkt allerdings, an dem die Rückentwicklung einsetzt, habe ich bisher nichts gefunden. Vielleicht sollte ich mal ein paar Sprachwissenschaftler zu uns nach Hause einladen?
Doch eines nach dem anderen.

Zu meinem Hintergrund sei erwähnt, dass ich sozusagen in einem Männerhaushalt lebe. Mein Mann und meine beiden Söhne , 12 und 17, sind herzallerliebst – aber machen es mir zuweilen doch recht schwer, klassisch weiblichen Bedürfnissen, beispielsweise nach Kommunikation oder Tischgestaltung, nachzukommen. Ja, liebe Freundinnen und Freunde der Genderbewegung, irgendwo müssen die Klischees ja herkommen. Ihr müßt jetzt einfach mal tief atmen. Von Sauerflatterern und Sorglosverkäufern weiterlesen

Voll der Knabe

Es ist der 24. Dezember.
Der Himmel ist blau, die Sonne scheint warm und hell vom Himmel.
Ich klage meiner Freundin Moni: auf meinem Balkon rankt die Kapuzinerkresse und die Rosen kriegen neue Triebe… Sie sagt sehr trocken „Was soll ich sagen? Ich hab Himbeeren.“
Vor der Archenhold-Sternwarte soll ein Kirschbaum blühen.

Ich schaue nochmal in die Mails, bevor ich mich der Weihnachtsküche widme.
Xing schreibt mir.
„Schöne Bescherung, Frau Riedel! “
Zucke innerlich sofort zusammen und überlege, was ich falsch gemacht habe. Mir fällt auch einiges ein – aber das kann Xing eigentlich nicht wissen. Vielleicht meinten Sie es nur lustig. Ho ho ho…
Fitness First immerhin schickt mir einen 10€ -Adventskalender-Gutschein für den Webshop. Ich kann mich damit auch für das Programm anmelden, bei dem man nicht mehr ins Studio kommen muss, sondern den Sport online zu Hause erledigen kann. Kostet extra, aber hey… (Irgendwie erinnert es mich an diesen Sketch, in dem ein sehr erfolgreiches Businesspärchen versucht, im Terminkalender eine Lücke für mal-wieder-Sex zu finden. Es gipfelt nach vielen Terminfindungsschwierigkeiten in dem Satz der Frau: „Na, ich muß ja eigentlich auch nicht unbedingt dabei sein. Schick mir doch einfach das Protokoll.“ So ähnlich stelle ich mir das vor, wenn man online ins Fitnessstudio geht.) Voll der Knabe weiterlesen

Venedig war gestern

Berlin, kurz vor vier, der Morgen schläft noch. Italien ruft, auf nach Schönefeld! Taxi zum U Bahnhof.
Der junge arabische Taxifahrer erspäht die fröhliche Frauenschar, die schon auf mich wartet. Ungläubig schaut er mich an. Nur Frauen? Sie verreisen nur mit Frauen, ja? Ich meine, macht man das jetzt so? Meine Frau will das auch immer, weiß ich nicht, hab ich verboten…
Er mustert uns skeptisch. Und noch bevor wir uns für oder gegen eine emanzipatorische Grundsatzdiskussion entschieden haben sagt er nachdenklich: „Wenn die so strahlt, wenn sie zurückkommt, wie Sie hier, wenn sie losfahren – dann ist das ja vielleicht doch eine gute Idee…“
Es ist vier Uhr früh und mit dem Gefühl, die Welt noch vor dem ersten Kaffee ein wenig freundlicher gemacht zu haben, fahren wir nach Schönefeld.

Easyjet. Wenig easy. Totale Hektik, überforderte Abfertiger, Zeitdruck. Im Eilschritt erklimmen wir unseren Flieger nach Pisa. Der Steward begrüßt uns auf dem Flug nach Venedig.
Wir blinzeln skeptisch. Sicher ein Versehen.
Nachdem er das Flugziel Venedig in drei Sprachen wiederholt hat bricht allgemeine Panik unter der festgeschnallten Passagierschar aus. Bis er endlich den wunderbaren Satz ruft:

Sorry! Scusi! Pisa! Pisa!
Venedig war gestern!